FLORIAN SCHRANZ (09. 07. 1965)

zählt zu den kompetentesten und erfahrensten Alpinisten Österreichs.

Als Berufsbergführer konzentriere ich mich heute hauptsächlich auf das Führen und Begleiten schwieriger Touren aller alpinen Disziplinen.
Meine Motivation besteht in erster Linie darin, die Freude und die Begeisterung
der Menschen aufzufangen, und diese in unvergessliche Erlebnisse zu formen.
Ja, einfach Lebensträume erfüllen!

Geführte Touren: Walkerpfeiler, Les Droites NW, Cengalopfeiler, Badile NO, Fuorikante, Agnerkante und viele, viele andere Alpinklassiker in Fels und Eis.

Werdegang:

  • seit 1986 Bergführer
  • mit 16 Jahren klettert er bereits den ersten Wasserfall
  • mit 17 Jahren Ortler NW
  • mit 18 Jahren Königspitze NW im Winter
  • mit 19 Jahren Matterhorn NW in 3h 10 min
  • mit 20 Jahren Eiger NW und Walkerpfeiler
  • Locker von Hocker und Hexentanz der Nerven am Schüsselkar
  • Les Droites NW in weniger als 5 1\2 Stunden
  • Ortler NW insgesamt 10 Mal
  • Rekordzeit Ortler NW: Tabarettahütte - Gipfel in zwei Stunden
  • Lenzspitze: Saas Fee - Gipfel Lenzspitze durch die NW in 3,5 Stunden
  • Eiger im Winter
  • Weg durch den Fisch
  • Chaos" an der Kastenwand
  • Stunden der Gemütlichkeit" Schüsselkar
  • Er kletterte sämtliche Extremklassiker in den Ost und Westalpen
  • bis heute an die 50 Erstbegehungen von schwierigsten Wasserfällen und Mixedrouten
  • einige hundert Begehungen von Wasserfällen - darunter auch schwierigste Solos am Renkfall und im Kaunertal! (Zwirn, Das Problem und Amore Fragile in Hochfinzermünz, Eisschlauch und Klassische Route an der Renkhütte)
  • Im Fels Alpine Erstbegehungen bis im 9. Schwierigkeitsgrad (Lady Di, Schlüsselloch, White Eagle, Goldene Wasser usw.)
  • einige On Sight Begehungen im unteren 9. Schwierigkeitsgrad (Batman / Wendenstöcken).

Zwirn Free Solo

Nur wenige Pickelschläge trennen mich noch vom Ausstieg. Meine absolute Konzentration beginnt zu tauen. Mein Empfinden ist ein Schweben, keine Anstrengung, kein Kampf, nur Steigen, jeden Augenblick tief in die Seele inhalieren. Unbeschreiblich, die Momente, in denen des Abgrunds Zähne stumpf werden!

Jahre liegen zwischen dem ersten „es wagen zu denken"und dem Triumph des „Oben Seins".

Jetzt sitze ich im Schnee, in mir wird es still. Vor wenigen Tagen als ich als Seil-Zweiter über die exponierte Schlüsselstelle kletterte, fielen mir meine Träume unweigerlich aus meinem Kopf und zerschellten am Wandfuß. Unmöglich! Doch es ist die bizarre Schönheit einer Linie, verbunden mit einer Idee, faszinierend und fesselnd, eben solange bis du dich befreist.

Schon viele Winter klettere ich an diesen Wasserfällen, ich hab es nie aufgeschrieben, keine Erstbegehung, keine Trophäe eines Schwierigkeitsgrades. Was bleibt sind Eindrücke, Erinnerungen...

Eisklettern ist in den letzten Jahren in Mode gekommen, seit aus einem Felsvorsprung, einem Loch ein Hook wurde und drei Minuten vom Parkplatz entfernt eine Mixed-Arena zum Drytooling einlädt. Nach Lern -und Umdenkprozessen, von gefährlich kühnen zu sicheren, aber schwierigsten Routen, und vielen Innovationen im Bereich der Ausrüstung und des Trainings, war ein Quantensprung der Leistungen möglich.

Langsam wird mir kalt. Ich beginne abzuseilen, fünfmal dreißig Meter und ich stehe wieder am Boden. Beim Blick hinauf überkommt mich fast ein bisschen Wehmut, ein Traum ist geträumt. Wo ist der nächste Horizont

Colton-MacIntyre

Florian Schranz, Mitglied im AustriAlpin-Team und erfahrener Alpinist und Bergführer, kletterte zusammen mit Egon Netzer im September 2007 die berühmt-berüchtigte Colton-MacIntyre Route auf den Pointe Walker im Montblanc-Gebirge. Die Route führt über die Nordseite des Berges zum Gipfel: Eine fast senkrechte, 1200 Meter lange Wand aus festem Wassereis, die sich über dem Mer de Glace (größter Gletscher Frankreichs) erhebt. Dank ihrer Länge und herausfordernder Mixed-Passagen zählt sie zu den großen mythischen Routen der Alpen und galt lange als eines der letzten Probleme der Alpen.

Irgendwann im März 2007:

Einer der beeindruckendsten Monolithen der Alpen, die "Grandes Jorasses", inszeniert nur wenige Kilometer von uns entfernt, eingerahmt zwischen glitzerndem Firn und azurblauem Himmel, ein fantastisches Farbenschauspiel von Licht und Schatten. Messerscharfe, senkrechte Linien, die an Kühnheit und Wildheit wohl kaum zu überbieten sind, durchschneiden und trennen Pfeiler und Rinnen.

Ich kletterte heute mit Rosanna, einer lieben Kundin durch das Courturier Couloir an der Nordwand der Aiguille Verte und liege nun schon seit geraumer Zeit auf einem von der Märzsonne angenehm erwärmten Granitblock vor dem Couvercle Biwak.

Mein Blick bleibt immer wieder an einer ganz bestimmten Linie hängen: Einer Linie, die mit ihrer Höhe von 1200 Metern in den Alpen ihresgleichen sucht. Obwohl ich mich diesem hochalpinen Amphitheater zutiefst verbunden fühle, begrabe ich heute endgültig diesen Traum. Zu oft bin ich umsonst nach Chamonix gefahren, zu oft auf die Leschaux Hütte gelatscht, nein, da gibt es ganz einfach kein Eis mehr, aus, vorbei und abgehakt...

Irgendwann im September 2007:

Eigentlich wollten wir um 1:00 Uhr morgens starten. Eine andere, französische Seilschaft polterte schon kurz nach zwölf aus der Hütte, sie versuchen die "Bonatti". Ich hatte bis 1:00 Uhr kein Auge zugemacht – die lange Autofahrt, der Anstieg zur Hütte und vor allem die ungemeine Anspannung vor dieser Tour. Keine Chance, wieder alles umsonst!

Jetzt ist es 6:00 Uhr, wolkenloser Himmel, eiskalt und immerhin fünf Stunden Tiefschlaf. Irgendwie wurstle ich die Decken zusammen, trinke eine Tasse lauwarmen Milchpulverkakao. Essen kann ich jetzt nicht – egal.

Um halb sieben balancieren wir über ein paar rostige, von Lawinen verbogene Torstahleisen, die aalglatten Gletscherschliffplatten hinunter auf die zähfließende Masse des Glacier de Leschaux. Seit wir von der Hütte aufgebrochen sind, rattert es pausenlos in meinem Kopf. Ich rechne: halb sieben - zweieinhalb Stunden zum Einstieg - in zehn Stunden kommt man normalerweise weit rauf - das wäre dann 7:00 Uhr abends - um acht ist's dunkel... Vorbereitet sind wir nicht wirklich, Egon war den ganzen Sommer über beim Klettern und jammert über seine lausige Kondition und für mich ist's heuer die erste Tour ohne Gast.

Obwohl der Schnee pickelhart gefroren ist, seilen wir uns kurz oberhalb der Firngrenze an. Die dunklen endlos tiefen Löcher sind selbst in der Morgensonne gruselig. Die Verhältnisse sind traumhaft. Die ersten zwei der drei Randspalten finden wir kaum, nur die dritte steilt bergseitig senkrecht auf und leitet ins Einstiegseisfeld.

Nun klettern wir am "laufenden Seil", Egon sechzig Meter voraus. Die Technik ist simpel: Immer wenn der Nachsteiger bei einer Eisschraube angelangt ist und diese heraus schraubt, dreht der Führende wieder eine ins Eis. Vielleicht entspricht dies nicht unbedingt der gängigen Lehrmeinung, ist aber eine perfekte Methode, um „arschkalten" Biwaks vorzubeugen.

Zwei steile Seillängen, die wir so gut es geht sichern, bringen uns über den ersten Steilaufschwung zum zweiten Eisfeld und bestätigen auch gleich unsere Vorahnung. Im senkrechten Teil der Rinne ist der Schnee nur sehr schlecht verdichtet, von Eis keine Spur.

Das Ambiente ist überwältigend, ich genieße jeden Augenblick und sauge die Eindrücke tief in meine Seele. Ich liebe diese steilen Gullys, die Wildheit und Abgeschiedenheit solcher Wände, die wortlose Harmonie unserer Seilschaft.

Hier im zweiten Schild wird das Eis verdächtig dünn. Immer wieder singen die Eisgeräte und springen uns entgegen. Sicherungen sind unmöglich. Wieder am "laufenden Seil" kletternd, nur jetzt ohne jegliche Sicherung, finde ich kurz vor der zweiten Crux einen Fixkeil und benutze ihn als Stand. Egons 40 Meter "runout" im losen, leicht überhängenden Schnee lässt mich beim Nachklettern erschaudern.

Das dritte Eisfeld bringt nichts Neues, "bing" und "sing", auf ca. hundertfünfzig Metern keine Sicherung. Am obersten Ende des Schildes entscheide ich mich für die Rechte von zwei möglichen Felsrinnen und finde endlich einen Felshaken; beim Einhängen der Expressschlinge kommen mir jedoch gleich beide, der Haken und die „Ex", entgegen.

Ich schaue zu Egon, er steht eine Seillänge unter mir auf den Frontalzacken, die Pickel nur wenige Zentimeter im Eis verankert, ungesichert und hilflos im Schild. Das Gelände über mir wirkt nicht wirklich einladend. Fieberhaft versuche ich, einen Haken einzuschlagen, doch der ausgeaperte Fels, der hier wahrscheinlich Jahrhunderte vom Eis überzogen war, ist morsch und brüchig.

Also, wie gehabt ohne. Erst nach ca. dreißig grausigen Metern singt ein Haken vertrauenserweckend in den Granit. Zwei weitere Seillängen und wir sitzen auf einem sonnenbeschienenen Absatz und machen eine halbe Stunde Pause. Ich spüre den Unterzucker. Ein halber Liter Cola, mehr hab ich nicht dabei, wirkt Wunder. Nach drei weiteren Seillängen rolle ich mich um 16.15 Uhr mit einem herzhaften Freudenschrei über die Gipfelwechte des Pointe Walker! Als ich Egon die Hand drücke, empfinde ich grenzenlose Freude!

Vor nicht ganz drei Jahren prophezeite mir ein Professor der Trauma-Intensivstation an der Innsbrucker Klinik wörtlich: Herr Schranz, vergessen sie alles, was in ihrem Leben war, sie haben einen Totalschaden! Ich ignorierte seine Botschaft, konzentrierte und fokussierte all meine Kraft auf meine Gesundheit, auf das was ich wollte, und ich hatte recht.

Um 8:00 Uhr abends surrt unser Kocher auf der Terrasse der Boccolatte Hütte.

Sunline

Im Januar 2010 gelingt Florian Schranz zusammen mit seinem langjährigen Freund und Seilpartner Egon Netzer, die Erstbegehung und erste Rotpunktbegehung der Mixedeistour „Sunline" im Kaunertal. Für AustriAlpin hat er seine Gedanken über diese Tour und ihren Begehungsstil aufgeschrieben.

Seit Wochen beobachte ich wie mit jedem kalten Wintertag hoch über dem Kaunertal ein neues Abenteuer wächst. Seit nunmehr vielen Jahren ist es die Faszination der perfekten Linie, die mich magisch anzieht, ja fesselt.

8.1.10, Egon und ich stapfen die letzten Meter zum Einstieg einer Linie, die in unseren Köpfen schon lange existiert und sich nun endlich auch im Eis manifestiert.

Schon oft war ich in Gedanken hier oben, doch was mich gerade hier lange Zeit davon abhielt Hand anzulegen, war schlichtweg der Respekt. Nicht etwa der Respekt vor den Schwierigkeiten, nein ganz einfach der Respekt vor dem, WIE?

Eine Erstbegehung bei derart schwierigen Routen, von unten und mit ausschließlich konventionellen Mitteln, erfordert größtmögliche Umsicht und ein hohes Maß an Erfahrung und Können. Doch bei all der vermeintlichen Erfahrung, irgendwann kommt der Punkt – will man sich nicht unbedingt das Genick brechen - wo man die Linie entweder jungfräulich belässt oder den Bohrhammer ansetzt.

Und so stehen wir nun unter der ersten Seillänge, einem ca. fünf Meter waagrecht ausladenden Dach mit abschließendem Eislutscher. Auch jetzt zögere ich noch, wirklich den Bohrer anzusetzen!

Doch meine Philosophie bröckelt, seit letzten Winter im Piztal das „letzte Einhorn" mit der Bohrmaschine erlegt wurde – eine Route, die auch Egon und mich mehr als zehn Jahre beschäftigt hat.

Ende der neunziger Jahre flog ich bei unserem Erstbegehungsversuch des Einhorns samt dem frei hängenden Zapfen, auf dem ich kletterte, aus der Wand. Wir seilten ab und warteten, bis die Säule vielleicht irgendwann wieder lang genug sein würde, um einen neuen Versuch zu starten. Natürlich wäre es schon damals ein leichtes gewesen, die Schlüsselstelle mit einem einzigen Bohrhaken abzusichern und zu klettern.

Doch das taten wir nicht: es war und ist mir persönlich wichtig, die Essenz des Eiskletterns zu erhalten, das Spiel mit den Elementen: beobachten, warten, probieren, umkehren, oder eben rausfliegen und abseilen. Gerade in dieser fairen Haltung lieg meiner Meinung nach ein schier unerschöpfliches Potential an Kreativität und Entwicklungsspielraum.

In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen, nicht nur in besagter Route, war mir jedoch eins klar: mitmachen – und eben auch Bohrhaken verwenden – oder zuschauen, wie es jemand anders tut.

Und so kam sie dann eben mit, die Bohrmaschine, bei unserem Versuch dieser gigantischen Linie. Nach ca. 30 Klettermetern und 5 Bohrhaken richte ich in einer kuscheligen Nische den ersten Stand ein. Egon bringt den Nachschub und flucht ordentlich, der schwere Rucksack zieht ihn erbarmungslos in die Expressschlingen.

War ich am Einstig noch unentschlossen, bin ich nun total euphorisch. Die Bohrhaken sind absolut berechtigt, und die Linienführung die der Driller ermöglicht, lässt an Ästhetik, Schwierigkeit und Eleganz nichts zu wünschen übrig.

Auch die zweite Seillänge schenkt uns keinen Meter Leerlauf und endet unter einem fantastisch fragilen 40-Meter-Zapfen. Der erste Rotpunktversuch, wenige Tage später, scheitert im Sturzbach der dritten Länge, die Säule schwitzt erbarmungslos in der Sonne. Die westseitig gelegene Route steht ab Mittag voll in der Sonne und bestraft Langschäfer. Erst zwei Wochen später gelingt mir, zusammen mit meinem Sohn Christof, die Rotpunktbegehung meiner ersten gebohrten Mixedroute, der „Sunline".

Fazit: ich bereue die Bohrhaken nicht, dafür hat es einfach zu viel Spaß gemacht, diese elegante, anspruchsvolle Linie klettern zu dürfen. Es gibt zwar einiges, was ich in der „Szene" nicht nachvollziehen kann – und was vermutlich in erster Linie mit der Promotion von Schwierigkeitsgraden und Egos zu tun hat.
Aber am Endes des Tages muss schließlich jeder selbst wissen, wie viel Abenteuer und Herausforderung er oder sie sich selbst übrig lässt und gönnt!"

Florian Schranz, Sunline (M8/Wi6), Erstbegehung mit Egon Netzer im Januar 2010.